Anders Indset -Quantenwirtschaft
336 Seiten – Gebundene Ausgabe
Verlag: Econ – Aus März 2019
ISBN-10: 3430202728
ISBN-13: 978-3430202725
Eigentlich reagiere ich auf Begriffe, die sich in Vorträgen, Debatten und im Manager-Sprech verselbständigt haben, die durch ständiges Daherplaudern sinnentleert wurden oder hinter deren Intransparenz sich Redner gerne verstecken, „allergisch“. Neustes Beispiel, im Zusammenhang mit dem Schlagwort „Industrie 4.0“ häufig verwendet, ist der Begriff Transformation. Aus diesem Grund wurde ich auf diesen Titel aufmerksam und neugierig, da mir nicht weniger als die Antworten auf die Frage „Was kommt nach der Digitalisierung?“ versprochen wurde.
Derjenige der das verspricht, ist der Wirtschaftsphilosoph Anders Indset. Er zählt zu den führenden Wirtschaftsphilosophen der Welt und gilt als gerne gesehener „Sparrings-Partner“ für internationale CEOs und führende Politiker. Thinkers50 , die “Oskar-Verleihung der Business-Vordenker“, und das renommierteste Ranking der weltweit wichtigsten Management-Köpfe, hat 2018 Anders Indset, als einzigen Vertreter aus dem deutschsprachigen Raum, in den globalen Kreis der 30 Köpfe der in Zukunft führenden Denker, die Organisationen und Leadership nachhaltig beeinflussen werden, aufgenommen. Der gebürtige Norweger, in Frankfurt zuhause, ist zudem Gastlektor an führenden internationalen Business Schools und Aufsichtsratsmitglied des German Tech Entrepreneurship Centers (GTEC).
Der Autor geht von der Hypothese aus, dass „…die rasante Entwicklung von künstlicher Intelligenz, die ersten Quantencomputer und die Automatisierung von immer weiteren Lebens- und Arbeitsbereichen wird massive Auswirkungen auf unsere Zukunft und unser Wirtschaftsmodell haben“ und „Algorithmen werden zu Autoritäten und diese werden unvermeidlich im Wettbewerb gegeneinander antreten. Aber Technologie allein kann und wird nicht die Antwort auf alle unsere Herausforderungen sein. Noch sind wir Menschen die Treiber und Bindeglieder, die unsere Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Realität steuern können.“
Soweit, so allgemein. Was folgt ist eine Aneinanderreihung von Befunden, die ich seit der 1970er Jahren kenne und die seit „Die Grenzen des Wachstums“ bekannt sind. Neu ist lediglich, dass Big-Data, IT-Technologie und ein klein wenig (nur nicht zu viel) Kapitalismus-Kritik mit den Befunden von Damals zusammen gebracht werden. Daraus folgt nun das Postulat, dass aus Old-Economy und New-Economy das Beste gerettet und in eine Q-Economy überführt werden müsse. Quantenwirtschaft leitet sich von der Funktion der Quanten in physikalischen Theorien ab, nach denen das Große Ganze aus all dem Kleinsten zusammengefügt sei. Das was diese Ökonomie zusammenhielte, seien die Menschen – der Autor tut so, als wäre das in der Old-Economy und New-Economy nicht der Fall gewesen.
Dort wo er in seiner Analyse bei den Verantwortlichen ansetzen müsste, fäll seine Kritik des politischen Systems sehr leise aus. Wenn sich das Wirtschaftsmodell, das momentan überall auf der Welt vorherrscht, als untauglich erwiesen hat die Probleme der Zukunft im Sinne der Menschen zu meistern, dann müssen die Verantwortlichen weltweit umsteuern. Aber vielleicht denkt der Autor auch an seine gut dotierten Rede-Auftritte, wenn er im „Handelsblatt“, als Reaktion auf die Kollektivierungsidee des Juso-Vorsitzenden Kühnert, erklärt: Sozialismus sei nicht die Lösung für Europas gegenwärtige und künftige Probleme. Aber Kritik am Kapitalismus sei wichtig und eine große Chance. Insofern habe Kühnert eine notwendige Systemdebatte angestoßen. Aber Kritik im Buch an der „Privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel“, an der „Privaten Aneignung der Arbeitserträge“ und „Unzureichender Demokratisierung der Wirtschaft“? Fehlanzeige! Er ignoriert die durchaus positiven Erfahrungen mit der sog. Sozialen Marktwirtschaft ebenso, wie andere Geschäftsmodelle (z.B. Genossenschaften).
Seine Stärken hat das Buch dort, wo der Autor sich auf dem festen Boden des Ausprobierten bewegt. Wenn er feststellt, dass dort wo Ressourcen endlich sind, konsequent Kreislaufwirtschaft betrieben werden müsse und wenn der private Konsum für Ressourcen-Vergeudung verantwortlich ist, müsse diese Kreislaufwirtschaft mit Share Economy kombiniert werden. Aber sofort höre ich die Flöhe im Pelz der CEOs husten, wenn der Autor den Schluss zieht, dass sich das Versprechen „Gleicher Wohlstand für alle“ (und damit ist nicht nur materieller Wohlstand gemeint) nicht erfüllen ließe und obendrein der Konsumgesellschaft Verzicht verordnet. Doch wer persönlich ist mit der Konsumgesellschaft wohl gemeint? Etwa dieselben Menschen, von denen er behauptet, dass sie die „Quanten“ seien? Ich las kein Wort über die Forschung von Richard Wilkinson und Kate Pickett über das Glücklichsein in der Gesellschaft, bei annähernder Gleichverteilung des gesellschaftlichen Vermögens (siehe auch: „Gleichheit ist Glück: Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ – auch von mir hier vorgestellt).
Der Autor setzt auf eine werteorientierte Weltanschauung, die Humanismus und Ethik, Selbstbeschränkung und Verteilungsgerechtigkeit, Kooperation und Dialog zu schätzen weiß. Aber Vorsicht „zu schätzen weiß“ bedeutet nun mal nicht, dass die Gesamtheit dieser Werte zu Primat der Politischen Ökonomie und der Politischen Realität wird (siehe auch die Diskrepanz zwischen der Deutschen Gesellschaftsordnung, dem GG, und dem Alltag). Der Autor meint, diese werteorientierte Weltanschauung herrsche – seinem Vorschlag gemäß – dezentral und auf kommunaler Ebene, würde sich allerdings auf globaler Ebene, auch über den Kopf des Nationalstaates hinweg, vereinbaren. Noch mal Vorsicht! Da der Autor Demokratie und Parteien – derzeit – für dysfunktional hält; bleibt also die Frage, wer diejenigen sind, die „auch über den Kopf des Nationalstaates hinweg“ – ohne demokratische Legitimation – Vereinbarungen treffen. Etwa jene, die auch TTIP verhandelten?
Fazit: Das Buch hält zwar nicht was es verspricht, ist aber für all jene empfehlenswert, die sich bisher mit den Themen noch nicht auseinandergesetzt haben. Dementsprechend ist es auch geschrieben: Man erkennt den erfahrenen Redner – die Sprache ist modern, lebendig und motivierend, aber auch provokant und bilderreich. Die Leserschaft wird durchaus bestärkt, sich über ihr eigenes Sein, ihr eigenes Bewusstsein und über die vielen Tellerränder Gedanken zu machen. Das ist gut. Leider hackt der Autor aber keiner einzigen Krähe auch nur ein Auge aus.