Vom Ende der Arbeitsgesellschaft
André Gorz – Kritik der ökonomischen Vernunft; Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft Taschenbuch: 416 Seiten Verlag: Rotpunktverlag, – Aus September 2010 ISBN-10: 9783858694294 ISBN-13: 978-3858694294 |
Für gewöhnlich liefern zwanzig Jahre alte Sachbücher keine brauchbare Gegenwartsanalyse und sind allenfalls von historischem Interesse. Nicht so die „Kritik der ökonomischen Vernunft“ von André Gorz. Der französische Sozialphilosoph hat das Werk noch vor dem Fall der Berliner Mauer geschrieben – und doch hat man an vielen Stellen den Eindruck, einen aktuellen Text über die Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu lesen.
Mit Hinweis auf die schwindende Konkurrenzfähigkeit werde der Wohlfahrtsstaat geschleift, die Gesellschaft gespalten – und die Linke stehe da ohne Programm, Konzept und Perspektive. Grundlegende Forderungen nach Frieden, Rechts- und Chancengleichheit würden nur noch von kollektiven Bewegungen vertreten, „da die Parteien mit den Regierungs- und Verwaltungsmaschinen verwachsen sind, die jede Möglichkeit der Diskussion über gesamtgesellschaftliche Ziele versperren.“
Gorz beschreibt die kulturellen Wendungen, die mit dem Einzug der Marktwirtschaft in alle Lebensbereiche und mit der zunehmenden Rationalisierung der Produktion einhergehen: Die sozialen und familiären Netze werden lockerer, der Sozialstaat muss einspringen und wird doch nie zu einer Solidargemeinschaft – weswegen er jetzt ohne viel Widerstand sturmreif geschossen werden kann. Die Beschäftigten spalten sich in eine von den Gewerkschaften vertretene Facharbeiterelite und prekär arbeitende Hilfstruppen. Die Inhaber gut bezahlter Jobs dürfen – legitimiert durch ihre angeblichen Fähigkeiten – wieder das Gefühl genießen, ihre Arbeit und ihr Leben seien keine getrennten Sphären. Niedere Tätigkeiten lassen sie von Dienstboten verrichten, die oft aus fernen Ländern kommen und ihre eigenen Bindungen und Interessen vollständig hintanstellen müssen.
Gorz bleibt bei dieser Beschreibung nicht stehen. Es geht ihm darum, eine gangbare Alternative aufzuzeigen. Weil das gesellschaftlich notwendige Arbeitsvolumen schrumpft, gibt es eine „historische Chance, die in der Geschichte der Menschheit noch niemals gegeben war: die frei gestaltbare Zeit aller kann bei entsprechender Arbeitsumverteilung länger sein als die Arbeits- und Rekreationszeit“.
Eine äußerst spannende Lektüre und ein ums andere Mal ein Ah-ha-Erlebnis. Es werden – nicht wie man vermuten musste – nur theoretische Phrasen gedroschen, sondern auch wirkliche Alternativen aufgezeigt, wie man Vorhandenes weiterentwickeln könnte. Grade in Zeiten, in denen der Kampfbegriff Industrie 4.0 in aller Munde ist, stellt das Buch auch die Frage nach dem Kapitalismus 2.0 oder einer Änderung des alten Arbeitsbegriffs (über die Erwerbsarbeit hinaus).
Dieses Buch ist auch über 20 Jahre nach seinem Entstehen, ein unverzichtbares Werk für Menschen, die sich zum Beispiel in Unterricht und Bildung mit dem Thema Ökonomie, Arbeit und Soziales beschäftigen müssen. Und endlich mal ein Werk, das jene Ökonomische Theorie, die uns in den letzten 40 Jahren mit ihren Heilsversprechen noch tiefer in die Probleme hingesteuert hat, gegen den Strich bürstet und echte Alternativen anbietet. Sehr empfehlenswert