Daniel Chavaria – „Das Rot im Federkleid des Papageien“

Daniel Chavarria – Das Rot im Federkleid des Papageien

Gebundene Ausgabe: 488 Seiten

Verlag: Edition Köln; Auflage: 1., Aufl. (30. Juli 2004)

ISBN-10: 3936791139

ISBN-13: 978-3936791136

Vielschichtig, spannend und klug

Der Kriminalroman ist ein Genre der Literatur, das seinem Ruf als Trivialliteratur meistens gerecht wird. Oft werden diese Art Romane schon von vorne herein, für ein weniger anspruchsvolles Publikum geschrieben. Aber es gibt natürlich keine Regel ohne die berühmte Ausnahme davon: So hat sich z.B. in der Lateinamerikanischen Literatur (oder in Literaturen aus Ländern, in denen Autoren*innen unterdrückt/zensiert werden) der Trend verfestigt, soziale und/oder gesellschaftspolitische Themen in die Handlungen der Krimis hinein zu flechten, so dass im Kleide vordergründiger Trivialität, hintergründig anspruchsvolle Literatur entsteht.

Daniel Chavarría (1933 – 2018) war ein Schriftsteller aus San José de Mayo/Uruguay, der bekannt für seine Krimis wurde. Sein Studium der klassischen Philologie unterbrach er für einen langen Aufenthalt in Europa, wo er u.a. Fremdenführer im Prado in Madrid, Bergarbeiter in Essen, Fabrikarbeiter in Köln war. Danach schlug er sich in verschiedenen Ländern Lateinamerikas durch, lebte im brasilianischen Urwald und arbeitete als Logistiker für eine Guerrilla Kolumbiens. 1969 war er an einer Flugzeugentführung beteiligt und landete mit der in Kolumbien entführten Maschine auf Kuba. Hier nahm er sein Studium wieder auf und wurde schließlich Professor für Latein, Griechische und klassische Literatur an der Universität Havanna.

Chavarra bezeichnete sich selbst als kubanischen Schriftsteller. Er sprach fünf Sprachen fließend und von 1975 bis 1986 war er Übersetzer deutscher Literatur am Cuban Book Institute. Als wissenschaftlicher Autor veröffentliche er natürlich zahlreiche Fach-Artikel, seine literarische Produktion aber besteht in der Hauptsache aus seinen sechszehn Romanen. Er gibt selbst zu Protokoll, dass er sie in drei grundlegenden Aspekten schrieb: politischer Abenteuerroman, historischer Roman und pikaresker Roman. Sein Credo: „Ich bin kein Kulterano. Ich versuche, eine Literatur zu schaffen, die großen Teilen der Bevölkerung zur Verfügung steht. Aber mit Würde, ohne in die dumme merkantilistische Logik zu verfallen“.

Zu diesem Titel: Eine Rezension über einen Kriminalroman zu schreiben ist eine heikle Angelegenheit; man soll etwas über ein Buch sagen und darf doch nicht allzu viel verraten, weil die Lektüre sonst nicht mehr spannend ist. Was für den Kriminalroman im Allgemeinen zutrifft, gilt im Besonderen für die Bücher Daniel Chavarrías. Kann man bei den meisten Krimis immerhin auf den Inhalt eingehen und muss sich nur verkneifen das Ende der Geschichte preiszugeben und stattdessen zur beliebten Formulierung des „überraschenden Schlusses“ greifen, darf man bei Chavarría eigentlich schon über die Story kaum etwas sagen, weil sich die meist erst in der zweiten Hälfte der Bücher wirklich erschließt. Eine Handlungsskizze in der Besprechung würde also den späteren Lesern*innen des Romans die Irritation ersparen, dass sie auf den ersten hundert Seiten des Buches überhaupt nicht wissen, worauf das Ganze hinauslaufen könnte.

So viel sei verraten: Die Geschichte spielt zwar auf Kuba, aber zwei der drei Hauptpersonen sind Argentinier, deren Wege sich in Havanna kreuzen. Ich möchte hier lediglich die Protagonisten vorstellen und es den Lesern*innen dieser Rezension dann selbst überlassen, ob sie das lesenswert finden – dann habe ich hier weder vom Plot noch vom Subtext zu viel preisgegeben. Erster Akteur ist Aldo, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der seinen Erfolg auch äußerlich zeigt, aber unter dessen Fassade sich eine tief traumatisierte Seele verbirgt, die man in den geheimen Foltergefängnissen der argentinischen Militärdiktatur geschunden hat.

Der zweite Argentinier heißt Alberto, ebenfalls Geschäftsmann, aber eher nicht auf eigene Rechnung, sondern er ist als Lobbyist einer uruguayischen Firma auf Kuba ansässig; auch er war in den erwähnten Folterkellern, allerdings nicht als Opfer, sondern als Täter und ist eigentlich nur auf Kuba untergetaucht. Er wäre vermutlich auch nie aufgefallen, wäre er nicht Kunde der Prostituierten Bini geworden. Und Bini ist auch die ominöse Wegkreuzung, bei der man häufig völlig unvermutet, allen möglichen Leuten über den Weg läuft… denn auch Aldo geht zu Bini.

Schlussbemerkung: In einem Interview wurde der Autor gefragt, warum in seinen Krimis oft Außenseiter, Prostituierte, Trinker und Betrüger vorkommen und was ihn an solchen Figuren so interessiere. Er antwortete: „Die Welt der Ausgeschlossenen ist sehr viel ausdrucksstärker als die formelle Welt. Der Blick auf die Marginalisierten ermöglicht es mir, die Pathologie einer Gesellschaft zu ergründen. Und nur so lassen sich die Probleme eines Landes verstehen. Wenn ich nur über das offizielle, das schöne Kuba schreiben würde, wäre das nicht möglich. Ich mache Literatur, weil mich die Basis einer Gesellschaft interessiert. Das Genre des Krimis dient dabei nur als Hülle. Der Krimi an sich hat mich nie interessiert…“

Der Roman ist kein netter kleiner Zeitvertreib, den man mal eben zwischendurch konsumieren kann. In diesem umfangreichen, vielschichtigen Roman, der eher ein Politthriller als ein Krimi ist, geht es gehörig zur Sache. Der Roman arbeitet sich auch an dem überall in Lateinamerika vorkommenden Phänomen der Straffreiheit für grausamste Staatsverbrechen ab – in dem Fall dem Treiben der argentinischen Militärjunta, die von 1976 bis 1983 zehntausende Menschen foltern und „verschwinden“ ließ. Daniel Chavarria zeichnet auch ein differenziertes Bild der kubanischen Gesellschaft in der so genannten Spezialperiode; in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Während die meisten versuchen, sich irgendwie durchzuschlagen und dabei halbwegs sauber zu bleiben, pflegen die neuen Reichen, wie zum Beispiel ausländische Geschäftsleute, einen pompösen Lebensstil. Sie wedeln mit ihren Dollars und denken, sich damit alles und jeden kaufen zu können. Das Lesen lohnt sich.