Das Totenschiff

B. Traven – Das Totenschiff

320 Seiten – Taschenbuch

Verlag: Diogenes – Aus August 2015

ISBN-10: 3257210981

ISBN-13: 978-3257210989

Eine Bibliothek ohne die Klassiker, auch wenn sie nicht den bevorzugten Lesestoff enthalten mögen, ist keine richtige Bibliothek. Wenigstens eine Ecke sollte für die Klassiker der Weltliteratur reserviert sein. Jetzt könnte man natürlich trefflich darüber streiten, welche Autoren und/oder Werke zu dieser Klassischen Literatur gezählt werden müssen. Es werden vielleicht nicht alle so sehen, aber für mich gehört ein Autor und sein Werk unbedingt auf die Liste: B. Traven mit „Das Totenschiff“

B. Traven? Wer ist das? Wer erzählt mir hier eine Geschichte? Diese Fragen geistern schon seit den 1920er Jahren durch die Welt der Literatur. Nicht erst seit 1928 die sehr ehrwürdige Büchergilde damit begann die Romane und Reportagen dieses Mannes zu veröffentlichen, blieb die Identität des Autors unklar und B. Traven ist lediglich das Pseudonym eines deutschen Schriftstellers, dessen echter Name, Geburtsdatum und -ort sowie Einzelheiten des Lebens unter Literaturwissenschaftlern lange Zeit umstritten waren.

Erst lange nach dem Tod des Autors fand man heraus, Dass es sich bei diesem Mann um den Gewerkschaftssekretärs Otto Feige handelte, der nach der Zerschlagung der Münchner Räterepublik (bei deren Zustandekommen er als Anarchist Ret Marut beteiligt war) fliehen musste. Ab 1924 lebte er in Mexiko, dem Land, in dem die Handlung der meisten seiner Romane und Erzählungen angesiedelt ist und seine Biographie erklärt auch die erzählerische Perspektive, die immer sozialkritisch ist und mit viel Sympathie für die Underdogs verbunden ist.

In „Das Totenschiff“ begegnen wir erneut dem Ich-Erzähler Gales – er taucht bereits in der Erzählung „Die Baumwollpflücker“ (auch hier besprochen) auf. Dieses Mal kommt er uns in Gestalt eines amerikanischen Seemanns aus New Orleans. Er hat in Antwerpen Landurlaub. Dann geschieht das Unglück – sein Schiff läuft früher als geplant aus und Gales ist nicht an Bord. Das allein wäre weniger tragisch – aber sein einziges Identitätsdokument, nämlich seine Seemannskarte, befindet sich an Bord.

Damit ist Gales plötzlich ein Niemand, einer ohne Papiere, ein Staatenloser – der durch alle Maschen anerkannter gesellschaftlicher Zugehörigkeit fällt. Es beginnt eine wahre – allerdings unfreiwillige – Odyssee durch Westeuropa, weil er ein ums andere Mal über Landesgrenzen abgeschoben wird; von Belgien über die Niederlande nach Frankreich, Spanien und schließlich nach Portugal. Überall muss er erfahren, dass er ohne Pass gar nicht existiert – und mit jemandem der nicht existiert, kann man machen was man will, selbst töten kann man ihn… niemand wird ihn vermissen.

In einem portugiesischen Hafen zwingt ihn seine Lage, auf einem maroden Dampfer anzuheuern. Auf dem Schiff arbeiten, außer dem Skipper, nur Seeleute, die keine Papiere mehr haben. Es sind quasi lebendige Tote, denen nichts mehr bleibt, außer für den Eigner eines „Totenschiffes“ zu arbeiten… und das weiß dieser Eigner nur zu genau. In keinem Hafen werden die Staatenlosen durch die Kontrollen an Land gelassen, so dass sie dem Skipper ausgeliefert sind. Die Männer werden betrogen und belogen… und schließlich in Dakar shanghait und auf die „Empress of Madagascar“ gezwungen.

Die Empress ist ein erst drei Jahre altes Schiff und in entsprechend gutem Zustand. Sie bringt aber die angegebene Maschinenleistung nicht, so dass die durch Fracht zu erwirtschaftenden Gewinne ausbleiben. Deswegen haben die Schiffseigner beschlossen, das Schiff zum Zweck des Versicherungsbetrugs zu versenken; das Schiff geht schließlich mit Mann und Maus unter, aber Gales wird wohl überlebt haben, denn er wird uns noch weitere Geschichten erzählen…

Ich habe diesen Roman als das erste Mal als Jugendlicher gelesen und war sofort von der einfachen Struktur, der klaren Sprache und der spannenden Handlung gefesselt – dieses Werk (obwohl es für Jugendliche sehr wohl geeignet ist) allerdings als Jugendroman zu bezeichnen, würde ihm nicht gerecht. In einer neuen Studie zu diesem Werk steht zu lesen: „Wie in Georg Büchners Dramenfragment Woyzeck (auch hier besprochen) werde an einem Freiheitsbegriff Kritik geübt, „der die Begüterten begünstigt und der Versklavung der Lohnabhängigen Vorschub leistet. B. Travens Erzähler polemisiert gegen den bürgerlichen Freiheitsbegriff mit jener Schärfe, die wir sie nur von Georg Büchner und vom jungen Marx kennen“

Diese Kritik halte ich auch fast 100 Jahre nach dem Erscheinen dieses Romans für dringend erforderlich… angesichts der aktuellen Bezüge (Ausbeutung auf Kreuzfahrtschiffen). Trotzdem das Werk B. Travens aus einer ganz anderen Zeit zu uns kommt, wirkt es auf mich immer noch lesenswert, seltsam aktuell und – trotz aller Sozialkritik – auch unterhaltsam. Das mag daran liegen, dass B. Traven offensichtlich in jeder Beziehung genau weiß von was er schreibt. Er kannte Land und Leute, lebte mit ihnen und hat ihr schweres Leben am eigenen Leibe erfahren. Ein Buch, das auch nach fast hundert Jahren thematisch noch in weiten Teilen der Welt aktuell ist, ist Weltliteratur und gehört alleine deswegen schon, jede gut sortierte Bibliothek.