In der heutigen schnelllebigen Zeit, in der Politiker*innen von Medien mal in eine oder die andere Richtung getrieben werden, und bei der Bevölkerung Erwartungen geweckt werden, die bitteschön bis vorgestern schon zu erfüllen sind, existiert eine soziale Frage, die schon seit 150 Jahren der Beantwortung harrt. Leider ist auch in den kommenden Jahren eher nicht mit einer zufriedenstellenden Antwort auf diese Frage zu rechnen. Das ist um so erstaunlicher, als diese soziale Frage den größeren Teil der Gesellschaft betrifft: Die sog. Frauenfrage.
Ein weiterer Grund zum staunen in diesem Zusammenhang, ist die Tatsache, dass es seit 140 Jahren zu diese Frage ein berühmtes Buch gibt, das bis zum heutigen – in mehr als 20 Sprachen übersetzt – über die Jahrzehnte in immer neuen Auflagen erschien und somit eigentlich einem breiten Publikum bekannt sein könnte. Und es könnte quasi auch als Rezeptbuch für die Lösung der Frage zur Verfügung stehen. Nun, mir ist klar, dass in den letzten 14 Jahrzehnte nicht kontinuierlich an der Beantwortung dieser Frage gearbeitet werden konnte (Sozialistengesetz, WK 1, Revolution, ungelernte Republik, Nazi-Terror, WK 2…), dennoch hätte es wenigstens etwas mehr als ein paar moderne Teilantworten geben können.
Das Buch von dem ich hier schreibe ist „Die Frau und der Sozialismus“ und geschrieben hat es August Bebel. Und trotz der Unterdrückung der Sozialdemokraten durch das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ von 1878 bis 1890, war dieses Buch die am meisten verbreitete marxistische Schrift vor dem ersten Weltkrieg. Über den Autor muss ich mich hier nicht verbreiten, da ich davon ausgehen kann, dass die Kenntnis um diese historische Person und ihre Bedeutung als einer der Mitbegründer der Deutschen und Europäischen Sozialdemokratie und Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung, allgemein vorhanden ist.
August Bebel stellte schon klar, dass sich die sog. „Frauenfrage“ nur in Verbindung mit der Beantwortung der sog. „Sozialen Frage“ beantworten lässt. Darum hängt die Antwort von der Lösung der gesellschaftlichen Gegensätze ab, welche diese Fragen überhaupt erst aufwerfen. Letztlich ruft er dazu auf, dass es auch im Interesse der Männer sein muss, an der Beantwortung der Frauenfrage zu arbeiten, da sie zumindest eine Teillösung der Sozialen Frage ermöglicht. Dennoch sollte an der Frauenfrage speziell gearbeitet werden, weil einerseits die Frauen quantitativ die größere Hälfte der Gesellschaft bilden und andererseits, die „im Laufe der Jahrtausende“ gebildeten Vorstellungen über die Stellung der Frauen in der Gesellschaft überwunden werden müssen.
Dabei ging er davon aus, dass es „Vorurteile“ darüber in den verschiedensten Kreisen der Gesellschaft und „nicht zuletzt in Kreise der Frauen selbst“ gibt. Die Konservative wiederum behauptet, dass es keine Frauenfrage gäbe, weil die Stellung der Frau sich auf ihren „Naturberuf“ und auf häusliche Pflichten beschränkt. Bebel entlarvt diese These als Bürgerliche Ideologie, denn die Not der Proletarierer und ihrer Frauen sei „ewig“ und eben nicht nur auf das Haus beschränkt, da sie gezwungen seien, auch Erwerbsarbeit zu leisten. Bebel polemisiert: „Wird die Forderung nach ökonomischer Unabhängigkeit gestellt, so antworten diese Gegner der Befreiung der Frau mit „Anklagen über die „Verrücktheit der Zeit“ und „ihre wahnwitzigen emanzipatorischen Bestrebungen“. Und Gegner gäbe es sowohl im männlichen wie auch im weiblichen Geschlecht.
Da es in der Entstehungszeit des Buches noch kein Frauenwahlrecht gab (das wurde erst mir der November-Revolution 1918 erreicht), ist es aus heutiger Sicht auch sehr interessant, was Bebel über die Rechte der Frauen an politischer Teilhabe und an politischen Rechten schreibt. Das könnte man heute den Ewig-Gestrigen der populären Rechten entgegenhalten: Die bisherige Handhabung der politischen Rechte und die Gestaltung von Gesetzen durch Männer beweise, dass die Männer lediglich ihre Privilegien sicherten, die Frau in jeder Beziehung bevormunden und die Frauen zu Gunsten der Männer ausgebeutet werden. Dazu bemerkt Bebel, dass „die Bürgerliche Gleichberechtigung von Mann und Frau“ keine „endgültige Lösung“ der Frauenfrage mit sich brächte, weil das die Ursache von Ungleichheit und Ausbeutung nicht aufhebt. Sein Fazit ist: „Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung beider Geschlechter“.
Für mich war und ist es immer eine Art Qualitätsnachweis, wenn ein bestimmtes literarisches Werk und/oder das Gesamtwerk eines Autors am 10.Mai 1933 auf den Scheiterhaufen der Nazis geworfen wurde. Bei August Bebels Buch „Die Frau und der Sozialismus“ sahen die Nazis offensichtlich noch mehr Handlungsbedarf, denn über das Feuer hinaus, wurde das Buch für die 12 folgenden Jahre danach geächtet. Und die Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann schrieb: „Was deutsche Sozialisten wie Marx, Engels, Bebel, u. a. – auch wenn man deren starren Marxismus ablehnt – durch ihre Schriften und ihrer parlamentarischen Tätigkeit zur Befreiung der Frauen beitrugen, wurde von der radikalen Frauenbewegung stets mit Dank anerkannt. Es ist geschichtliche Tatsache und festes Fundament der Frauenbewegung geworden.“ Und ich war immer schon einer ihrer Unterstützer, weil Bebel recht hat: Nur zusammen können wir eine gerechte Welt schaffen.