Die weiße Rose

B. Traven – Die weiße Rose

233 Seiten – Taschenbuch

Verlag: Diogenes – Aus 1983

ISBN-10: 3257211023

ISBN-13: 978-3257211023

Eine Bibliothek ohne die Klassiker, auch wenn sie nicht den bevorzugten Lesestoff enthalten mögen, ist keine richtige Bibliothek. Wenigstens eine Ecke sollte für die Klassiker der Weltliteratur reserviert sein. Jetzt könnte man natürlich trefflich darüber streiten, welche Autoren und/oder Werke zu dieser Klassischen Literatur gezählt werden müssen. Es werden vielleicht nicht alle so sehen, aber für mich gehört ein Autor und sein Werk unbedingt auf die Liste: B. Traven mit „Die weiße Rose“

B. Traven? Wer ist das? Wer erzählt mir hier eine Geschichte? Diese Fragen geistern schon seit den 1920er Jahren durch die Welt der Literatur. Nicht erst seit 1928 die sehr ehrwürdige Büchergilde damit begann die Romane und Reportagen dieses Mannes zu veröffentlichen, blieb die Identität des Autors unklar und B. Traven ist lediglich das Pseudonym eines deutschen Schriftstellers, dessen echter Name, Geburtsdatum und -ort sowie Einzelheiten des Lebens unter Literaturwissenschaftlern lange Zeit umstritten waren. 

Erst lange nach dem Tod des Autors fand man heraus, Dass es sich bei diesem Mann um den Gewerkschaftssekretärs Otto Feige handelte, der nach der Zerschlagung der Münchner Räterepublik (bei deren Zustandekommen er als Anarchist Ret Marut beteiligt war) fliehen musste. Ab 1924 lebte er in Mexiko, dem Land, in dem die Handlung der meisten seiner Romane und Erzählungen angesiedelt ist und seine Biographie erklärt auch die erzählerische Perspektive, die immer sozialkritisch ist und mit viel Sympathie für die Underdogs verbunden ist. 

B. Traven beginnt „Die weiße Rose“ mit der Geschichte des Indios Jacinto Yañez. Er ist der Eigentümer (oder eher Verwalter) einer Hacienda, die schon seine Vorfahren seit langer Zeit bewirtschafteten. Er lebt dort das traditionelle Leben seiner Leute, in dem er „sein Land“ mit anderen Indios teilt. Sie häufen zwar keine Reichtümer an, führen aber ein Leben ohne Hunger… damals wie heute für viele keine Selbstverständlichkeit.

Sein Gegenspieler ist der Ölmagnat Collins, der bereits alles Land rund um „Die weiße Rose“ aufgekauft hat und nun auch dieses Land haben will. Der Indio jedoch, denkt in völlig anderen Begriffen… wenn er z.B. sagt: „Land ist ewig. Geld ist nicht ewig. Darum kann man Land nicht gegen Geld vertauschen.“ Sie bieten ihm immer größere Summen – aber es ist zwecklos, gegen Jacinto Yañez Haltung hilft das nicht. Schließlich locken sie den Mann nach San Francisco. Und dort „erleidet“ er offenbar „leider“ einen tödlichen Autounfall; jedenfalls wird er tot auf der Straße gefunden. Natürlich hat Herr Collins nichts damit zu tun… dafür hat er seine Leute und die verstehen eben manchmal was falsch.

B. Traven weiß, dass man sich für Geld sehr viel kaufen kann – sogar weiße Westen und gutes Ansehen; gerade gutes Ansehen. Dabei geht Collins nicht nur über Leichen, sondern lügt, betrügt und fälscht… z.B. einen von Jacinto Yañez unterschriebenen Kaufvertrag. Aufklärende Nachforschungen verlaufen – wie man so schön sagt – im Sande. Das Buch hat also – wie das richtige Leben oft – kein Happy End, es schildert die erfolgreiche Aneignung der „Weißen Rose“ durch den Ölbaron und das Ende der Idylle – alle Indios werden von ihrem Land vertrieben und aus dem fruchtbaren Stück Erde, wird ölverdrecktes Fördergebiet.

Wenn es den Lesenden gelingen mag, die Handlung des Romans von seiner Komposition zu trennen, werden sie ein wirklich kunstvoll erzähltes Stück Literatur genießen können. B. Traven erzählt in verschiedenen Handlungssträngen und abwechselnden Perspektiven, jeweils aus der Sicht einzelner Protagonisten. Der Autor erzählt nicht nur die Handlung rund um die Hacienda „Die weiße Rose“, sondern beschreibt – sozusagen exemplarisch für alle skrupellosen Geschäftemacher – den Aufstieg des Herrn Collins, der für seinen persönlichen Erfolg nicht davor zurück schreckt, andere ins Elend zu stürzen. So laufen einzelne Romanbestandteile nebeneinander her, verbinden sich an bestimmten Punkten und ergeben mit der Zeit ein dich gewobenes Gesamtkunstwerk… meiner Meinung nach, das gelungenste Werk des Autors. 

Ich habe diesen Roman das erste Mal als idealistischer junger Mann (Vertrauensmann meiner Gewerkschaft) gelesen und war sofort von der Struktur, der klaren Sprache und der spannenden Handlung gefesselt. Ohne zu übertreiben, eröffnete mir dieses Werk – ohne den Sozialismus zu predigen und in Sonntagsreden seine Vorzüge zu deklamieren – wie man den Kapitalismus bekämpft… in dem man seine Machenschaften anprangert und ihm einen Gegenentwurf vorhält. 

Leider haben die geschilderten Machenschaften nichts von ihrer Aktualität verloren und auch fast 100 Jahre nach dem Erscheinen dieses Romans halte ich die Lektüre dieses Buches,  z.B. im Schulunterricht, für dringend erforderlich… angesichts der aktuellen Bezüge. Trotzdem das Werk B. Travens aus einer ganz anderen Zeit zu uns kommt, wirkt es auf mich immer noch lesenswert, seltsam aktuell und – trotz aller Sozialkritik – auch unterhaltsam. Das mag daran liegen, dass B. Traven offensichtlich in jeder Beziehung genau weiß von was er schreibt. Er kannte Land und Leute, lebte mit ihnen und hat ihr schweres Leben am eigenen Leibe erfahren. Ein Buch, das auch nach fast hundert Jahren thematisch noch in weiten Teilen der Welt aktuell ist, ist Weltliteratur und gehört alleine deswegen schon, jede gut sortierte Bibliothek. Ich hoffe, meine Bemerkungen waren hilfreich…