Germinal

Emile Zola – Germinal

Streik ist Notwehr

Eine Bibliothek ohne die Klassiker, auch wenn sie nicht den bevorzugten Lesestoff enthalten mögen, ist keine richtige Bibliothek. Wenigstens eine Ecke sollte für die Klassiker der Weltliteratur reserviert sein. Jetzt könnte man natürlich trefflich darüber streiten, welche Autoren und/oder Werke zu dieser Klassischen Literatur gezählt werden müssen. Kein Streit kann es aber um diesen Autor und dessen Werk geben… dieser Autor gehört unbedingt auf die Liste: Émile Zola.

Émile Zola, 1840 in Paris geboren, arbeitete als freier Journalist und Autor. 1898 setzte er sich mit seinem „J‘ accuse“ (deutsch „Ich klage an…) für den zu Unrecht verurteilten Dreyfus ein und wurde zu Gefängnis sowie einer Geldstrafe verurteilt; er konnte jedoch nach England entfliehen. Nach einer Amnestie 1899, kehrte er nach Frankreich zurück. Zola gilt als der Hauptvertreter des europäischen Naturalismus. Zola war aber nicht nur ein, schon zu Lebzeiten, sehr erfolgreicher Schriftsteller, sondern er war auch ein sehr aktiver – und deshalb auch bekannter – Journalist, der aus einer politisch gemäßigt linken Position schrieb. Zola starb am 1902 in Paris. 

Zola machte sich die geniale Idee von Honoré de Balzac (auch von mir hier vorgestellt) zu eigen und konzipierte die meisten seiner Romane als Teile eines Zyklus. So entstanden seine berühmtesten Romane sozusagen als Fortsetzungs-Geschichten (die aber auch als eigenständige Werke gelten). In Frankreich gilt Zola als einer der Großen der nationalen Literatur. Sein Werk, hauptsächlich seine Romane, sind sehr populär und werden auch heute noch gerne gelesen. Mehrere seiner Romane wurden bald nach ihrem Erscheinen auf die Bühne gebracht und erfolgreich aufgeführt. In späteren Zeiten wurden Zola-Romane ebenso erfolgreich verfilmt.

Das hier zu besprechende Werk, „Germinal“ (1885), ist der dreizehnte Roman des zwanzigteiligen Romanzyklus „Les Rougon-Macquart“ (erschienen 1871 – 1893). Das zu erwähnen erscheint mir deswegen wichtig, weil Zola in den Romanen eine Haltung einnimmt, die sich nur aus der Zeit erklären lässt; wie alle Werke der Kunst immer auch aus der Zeit ihres Entstehens heraus erklärt werden müssen. Als Kaiser Napoleon III., der seine Macht durch Militär und Repressionsmaßnahmen sicherte, am 2. September 1870, im Deutsch-Französischen Krieg militärisch scheiterte und in preußische Gefangenschaft geriet, kapitulierte Frankreich. Nach der Kapitulation des Kaiserreichs kam es in Paris zum Volksaufstand; die sogenannte Pariser Kommune entstand. Die Abgeordneten der Kommune forderten die Gründung einer föderalistischen Republik. Die konservative Mehrheit der französischen Nationalversammlung schickte Truppen gegen die Kommune. Am 28. Mai 1871 brach die Kommune zusammen; in der Folge wurde Frankreich wieder eine Republik. Von Februar 1871 bis August 1872 produzierte Zola mehr als 250 kritische Artikel zur Tätigkeit des Parlaments. Den politischen Stoff dieser meinungsstarken Kommentare, verarbeitete er später in seinen Romanen auch dieses Zyklus.

Mit „Germinal“ hat sich Émile Zola selbst ein Denkmal gesetzt und ich freute mich schon darauf den Roman erneut zu lesen, als mir die Idee gekommen war, den kompletten Zyklus zu besprechen und ich begonnen habe. „Germinal“ ist der wohl bekannteste von allen Zola-Romanen (nicht nur der Romane des Zyklus) und ist wohl deshalb noch so bekannt, weil er immer wieder zitiert und mehrfach verfilmt wurde; zuletzt in einer sehr populären (aber wenig überzeugenden) Fassung von Claude Bern u.a. mit Gérard Depardieu in der Hauptrolle. Mit „Germinal“ widmet sich Zola zum ersten Mal ganz und gar den Arbeitern im Zweiten Kaiserreich. Die Verbindung zum bisher erzählten Zyklus ergibt sich aus einem der Protagonisten, Etienne Lantier, der ein Sohn der Wäscherin Gervaise Macquart aus „Der Totschläger“ (auch von mir hier vorgestellt).

Zola erzählt Ereignisse, welche sich so oder so ähnlich tatsächlich zugetragen haben können, denn zur Vorbereitung dieses Romans hat Zola monatelang mit Bergleuten zusammengearbeitet, bis er, vermutlich unter dem Eindruck des gewaltsam niedergeschlagenen Bergarbeiterstreiks in Anzin (im Norden Frankreichs), den Roman schrieb. Zunächst beschreibt der Roman, ohne zu romantisieren oder zu verdammen, die Zustände in und den Lebensbedingungen der Bergleute um eine der Kohlegruben des Reviers. Dann trifft Etienne in der Siedlung ein – er ist arbeitslos, weil er einer Respektlosigkeit seines Arbeitgebers in Lille entlassen und nirgends sonst in Lille noch Arbeit bekam. Er ist Maschinist, also ein qualifizierter Fachmann, der in der Mine gebraucht wird. Er findet bei der Familie Maheu – die auch in der Mine arbeitet – Unterkunft.

Die Empörung über die unmenschlichen Lebensbedingungen, schreibt Zola seinem Protagonisten zu, der auch von der Idee des Sozialismus begeistert ist. Etienne überzeugt bittere Not leidenden Bergarbeiterfamilien davon, dass sie nur mit einem Streik ihre Situation verbessern können. Die Arbeiter treten dann auch in Streik, aber noch gibt es keine Gewerkschaft, die ihn organisieren könnte und so machen die Arbeiter anderer Gruben nicht mit. Die Arbeiter zahlen einen hohen Preis: Die Lebensbedingungen werden noch schlechter, da sie nun überhaupt nicht mehr bezahlt werden. Die Bergbauunternehmer sind gnadenlos und holen belgische Arbeiter als Streikbrecher und als die Streikenden dagegen vorgehen wollen, greift das hinzu gerufene Militär ein; es gibt Tote. Der Streik bricht zusammen und die Arbeiter müssen nun für noch niedrigere Löhne weiterarbeiten. Etienne muss den Ort verlassen, doch er verliert nicht den Glauben daran, dass eines Tages der Sozialismus die Lage der Arbeiter verbessern wird.

Zola wäre aber nicht der großartige Autor der er war, wenn er die Zustände holzschnittartig und schwarz-weiß geschildert hätte. Wie ein guter Journalist eben, berichtet er, ohne die Seite der Arbeiter zu verherrlichen und die Seite der Grubenbesitzer zu verteufeln. Dennoch bleiben bei den Lesenden keine Zweifel darüber, welcher Seite Zola er zugeneigt ist. Er gibt seiner Überzeugung Ausdruck, dass der Grundwiderspruch zwischen den ausgebeuteten Massen und der Bourgeoisie eine Umwälzung der bestehenden Gesellschaftsordnung hervorbringen wird; auch wenn es innerhalb der Arbeiterbewegung unterschiedliche Richtungen gibt. Das wird schon gewählten Titel angedeutet: Im Zuge der Großen Revolution hatte man in Frankreich die Trennung von Staat und Kirche durchgesetzt. Daher sollte ein neuer Kalender ohne christlichen Bezug geschaffen werden. Germinal bezeichnete den Keim-Monat im französischen Revolutionskalender, in dem die Saat für die zukünftige Ernte ausgebracht wurde.

Auch über 130 Jahre nach dem Erscheinen, liest sich dieser Roman nicht wie ein weltfremdes, aus der Zeit gefallenes Stück Literatur. Ich verwies zwar auf die Entstehungszeit des Romans – aber beim Wiederlesen wollte mir scheinen, dass dieser Roman nie völlig aus der Zeit gefallen ist. Angesichts der Lage der Arbeitenden in weiten Teilen der Welt und der oft unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Minen Afrikas, in den Nähereien Pakistans oder in den Exportproduktionszonen Mittelamerikas, ist dieser Roman hoch aktuell. Auch nach all den Jahren kann der Roman – mit einer gewissen Übersetzungsleistung selbstverständlich – wie ein blanker Spiegel der aktuellen Gesellschaft gelesen werden – das ist Weltliteratur und somit gehört der Roman allein deswegen schon, jede gut sortierte Bibliothek. Ich hoffe, meine Bemerkungen waren hilfreich…