Höchste Zeit
Jean Ziegler – Ändere die Welt Gebundene Ausgabe: 288 Seiten Verlag: C. Bertelsmann – Aus März 2015 ISBN-10: 3570102564 ISBN-13: 978-3570102565 |
Grundsätzlich bin ich kein Freund von Autobiografien, denn was uns in solchen Werken schon alles an Schönfärberei, Vertuschung und Umdeutung von Fakten zugemutet wurde, machte mir sehr häufig das Lesen dermaßen zur Qual, so dass ich schließlich meist Abstand von Autobiografien nehme. Wenn ich eine Person so interessant finde, dass ich mich mit ihrem Lebenslauf und den dazugehörigen Fakten beschäftigen will, dann greife ich lieber auf eine Monografie oder Biografie zurück. Aber natürlich gibt es immer die berühmte Ausnahme von der Regel: In diesem Falle geht es um die Autobiografie von Jean Ziegler, die aber nicht nur eine Autobiografie ist, sondern darüber hinaus auch noch ein Werk der Aufklärung und eine Kampfschrift gegen eine „kannibalistische Weltordnung“. Im Prinzip eigentlich ein echter Ziegler, der sich nie um ein offenes Wort gedrückt hat.
Für das Verstehen von Jean Zieglers Position, ist die Kenntnis seiner Biografie eigentlich unerlässlich, deshalb habe ich die wichtigsten Daten kurz zusammengefasst: Der schweizerische promovierte Jurist, Soziologe, Politiker und Sachbuchautor Jean Ziegler wurde am 19. April 1934 als Hans Ziegler in Thun, Schweiz geboren und wuchs in einem konservativ bürgerlichen Haus auf (sein Vater war Amtsrichter). Wie es nun mal oft in Akademiker-Familien üblich ist, sollte er in die Fußstapfen seines Vaters treten, was letztlich auf ein Jura-Studium hinauslief. Während seines Studiums trat er – ganz entsprechend seiner Erziehung – als überzeugter Antikommunist auf. 1953 ging für einige Jahre nach Paris, um dort sein Jura-Studium weiterzuführen. In Paris lernte er, neugierig, selbstbewusst und intelligent wie er nun mal ist, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir kennen und bekam von ihnen „sein theoretisches Rüstzeug für den Kampf um Gerechtigkeit.“ Er konvertiert zum Sozialismus.
1961 bewarb er sich dann für eine Assistentenstelle der UNO im Kongo, der von Belgien gerade in die Unabhängigkeit entlassen worden war. Dort bekam er dann sein praktisches Rüstzeug. Nach eigenen Aussagen wurde er durch seinen zweijährigen Afrika-Aufenthalt als UN-Experte, und das dort gesehene Elend, zu einer radikalen Änderung seiner Grundauffassungen bewegt (kleine Bemerkung des Autors: was ich mir nicht nur vorstellen kann, sondern was ich im Sahel am eigenen Leib ebenfalls spürte). In seiner Autobiographie steht, dass er sich damals schwor: „Nie mehr – nicht einmal rein zufällig, möchte ich auf der Seite der Henker stehen.“
1964, traf er in Genf auf Che Guevara, der an einer Konferenz teilnahm; Ziegler begleitete ihn während der sechs Wochen der Konferenz und wollte Che schließlich nach Kuba folgen. Doch Che beschied ihm: „Schau Dich um, Juan. All die Banken, Versicherungen, die teuren Hotels, die mächtigen Firmen. Hier bist Du im Gehirn des Ungeheuers! Was willst Du mehr? Dein Schlachtfeld ist hier.“ Jean Ziegler blieb in der Schweiz, studierte fortan Soziologie und verwendete anstelle des Deutschen die französische Sprache.
Von 1967 bis 1983 und von 1987 bis 1999 war Jean Ziegler Genfer Abgeordneter im Nationalrat für die Sozialdemokratische Partei (SP) der Schweiz; ab 1977 wurde er Professor der Soziologie an der Uni in Genf, was er bis zu seiner Emeritierung im Mai 2002 bleiben sollte. Zudem war er ständiger Gastprofessor an der Sorbonne in Paris. Seit September 2000 ist Jean Ziegler UN-Sonderberichterstatter für „Das Recht auf Nahrung“. In dieser Funktion verfasste er, unter anderem, jährlichen allgemeinen Berichten und Empfehlungen für die Vereinten Nationen.
Jean Ziegler nahm Che beim Wort und nahm den Kampf gegen „das Ungeheuer“ auf. Seine Waffe war immer (ausschließlich) das Wort und so schrieb er bis heute schließlich 16 Bücher. Das fünfte Buch, 1976, machte ihn erstmals auch international bekannt. Der Titel „Die Schweiz, über jeden Verdacht erhaben“, wurde ein Bestseller in Millionenauflage. Darin wagte Ziegler auszusprechen, was in der Schweiz noch keiner zuvor gewagt hatte: …dass auch die Schweiz Dreck am Stecken habe. Leichen im Keller. Ziegler schreibt: „Die vielen hundert Millionen Dollar, die alljährlich aus den Ländern der Dritten Welt abfließen und die, in Schweizer Franken umgetauscht, in den Ali-Baba-Höhlen unter der Zürcher Bahnhofstraße lagern, sind das Blut der Armen und der Opfer von Kriminellen.“
Das „Ungeheuer“ schlug zurück! Wegen seiner massiven Kritik an schweizerischen Banken, wurde er als „Landesverräter“ angegriffen und von mehreren Instituten, zum Teil erfolgreich, verklagt. Die Verurteilungen zu Schadensersatz brachten ihn wirtschaftlich an den Rand des Ruins. Der Prozess wegen Landesverrats endete allerdings mit einem Freispruch. Dennoch ist seine Kritik – leider – auch heute noch aktuell.
Jean Ziegler gilt heute als scharfzüngiger Globalisierungskritiker und gehört deshalb zur Standartlektüre von z.B. Attac-Aktivisten. Reich an eigenen Erfahrungen – und an Schulden aus unzähligen Verleumdungsklagen – prangert er unermüdlich vor allem das Geschäftsgebaren transnationaler Konzerne an; hält sich mit Kritik aber auch nicht vor politischen Institutionen, politischen Akteuren und dem kapitalistischen System an sich zurück. Besonderes Augenmerk legt er folgerichtig auch auf die eigentlichen Machtapparate im Hintergrund der globalisierten Welt; namentlich Weltbank, IWF und WTO.
Nun, seit vielen Jahren bin ich ein treuer Leser seiner Schriften, auch wenn ich nicht immer erfreut war sie zu lesen/lesen zu müssen. Aber wer sich das ganze Bild einer globalisierten Welt machen will oder muss (weil er z.B. in seinem Ökonomie-Seminaren mit diesem Thema arbeitet), der kommt an den Werken von Ziegler nicht vorbei. Und um es vorweg zu sagen: ich bin froh, dass Jean Ziegler es geschafft hat, dieses Buch zu schreiben – es kommt nicht so oft vor, dass es ein 81jähriger zustande bringt, seine Autobiografie zu verfassen und gleichzeitig die Gelegenheit beim Schopfe fasst, sein Thema zu transportieren.
Letztlich ist das Buch auch der Versuch, all das zu begründen, wofür er sich sein Leben lang eingesetzt hat. Irgendwo habe ich in einer Kritik gelesen, dass dabei so etwas wie ein „Handbuch für den modernen Globalisierungskritiker“ heraus gekommen sei… wenn man das als beispielgebend übersetzen möchte, dann bin ich durchaus einverstanden, denn es ist zweifelfrei richtig, dass es nicht sehr viele Menschen wie Jean Ziegler geben wird, die auf eine ähnliche Lebensleistung zurückblicken können. Insofern trifft die Kritik nur daneben.
Es ist seine Überzeugung, dass jede und jeder an seinem Platz etwas tun kann, um eine gerechtere Welt zu gestalten. An anderer Stelle leitet er ein Buch ( „Die neuen Herrscher der Welt“ – auch von mir hier vorgestellt) mit der Dialektik von Brecht ein, der die „Johanna von den Schlachthöfen“ sagen lässt: Sorgt nicht nur dafür, die Welt verlassend, dass ihr gut wart, sondern sorgt dafür dass ihr eine gute Welt verlasst. Und so ruft er wie eh und je die Zivilgesellschaften des Westens dazu auf, ihr Nichtstun, im Zusammenhang mit der Beseitigung der Ungleichheit der Verteilung des Wohlstands, aufzugeben und nimmt für sich das Wort von Kant in Anspruch und ernst: „Die Unmenschlichkeit, die einem anderen angetan wird, zerstört die Menschlichkeit in mir.“
Ich habe schon zu Protokoll gegeben, dass ich regelmäßiger Leser Zieglers bin und mich nicht nur pro forma damit beschäftige, sondern auch beruflich. Dieses Buch ist in der langen Reihe seiner mir bekannten Werke eines, das ich uneingeschränkt empfehlen möchte, da es sich zwar nicht so sehr vom Inhalt, aber in der Sprache von den meisten anderen seiner doch sehr polemischen Werken unterscheidet. Dabei habe ich gar nichts gegen eine gute Polemik, wenn sie dazu dient, den Boden aufzureißen, damit man die Saat der Vernunft in ihn einbringen kann. Ich hoffe, meine Bemerkungen waren hilfreich…