Jean Ziegler – Die neuen Herrscher der Welt

Die Fronten des Widerstands

Jean Ziegler – Die neuen Herrscher der Welt


Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: Bertelsmann, C. – Aus Februar 2004
ISBN-10: 3570006794
ISBN-13: 978-3570006795

Man kann ja verstehen, dass jemand der lange Zeit immer wieder versucht eine Situation zu ändern, von der er meint, dass sie zum einen dringend geändert werden muss und der zum anderen, diese Änderung für möglich hält, irgendwann frustriert die „feine Klinge“ zur Seite legt und zornig mit dem großen Haudegen weiter ficht. Und so ist es auch zu verstehen, dass ein an sich nüchterner Fachmann, ein in organisatorischen Verfahren sehr erfahrener und in diplomatischen Dingen gebildeter Mann, die erfahrene, nüchterne und diplomatische Sprache ablegt und dann in zuspitzender Schärfe weiterspricht – in diesem Fall weiter schreibt.

Jean Ziegler, das ist der Name eben jenes Mannes, von dem im ersten Absatz die Rede ist. Um einordnen zu können, woher diese scharfe Kritik, diese zugespitzte Sprache, ja, auch der persönliche Frust kommt, muss man sich nur den Lebenslauf dieses 86jährigen Mannes anschauen. Ich habe die biographischen Daten einmal zusammen gefasst: Der schweizerische promovierte Jurist, Soziologe, Politiker und Sachbuchautor Jean Ziegler wurde am 19. April 1934 als Hans Ziegler in Thun, Schweiz geboren und wuchs in einem konservativ bürgerlichen Haus auf (sein Vater war Amtsrichter). Wie es nun mal oft in Akademiker-Familien üblich ist, sollte er in die Fußstapfen seines Vaters treten, was letztlich auf ein Jura-Studium hinauslief. Während seines Studiums trat er – ganz entsprechend seiner Erziehung – als überzeugter Antikommunist auf. 1953 ging für einige Jahre nach Paris, um dort sein Jura-Studium weiterzuführen. In Paris lernte er, neugierig, selbstbewusst und intelligent wie er nun mal ist, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir kennen und bekam von ihnen „sein theoretisches Rüstzeug für den Kampf um Gerechtigkeit.“ Er konvertiert zum Sozialismus. 

1961 bewarb er sich dann für eine Assistentenstelle der UNO im Kongo, der von Belgien gerade in die Unabhängigkeit entlassen worden war. Dort bekam er dann sein praktisches Rüstzeug. Nach eigenen Aussagen wurde er durch seinen zweijährigen Afrika-Aufenthalt als UN-Experte, und das dort gesehene Elend, zu einer radikalen Änderung seiner Grundauffassungen bewegt (kleine Bemerkung des Autors: was ich mir nicht nur vorstellen kann, sondern was ich im Sahel am eigenen Leib ebenfalls spürte). In seiner Autobiographie steht, dass er sich damals schwor: „Nie mehr – nicht einmal rein zufällig, möchte ich auf der Seite der Henker stehen.“

1964, traf er in Genf  auf Che Guevara, der an einer Konferenz teilnahm; Ziegler begleitete ihn während der sechs Wochen der Konferenz und wollte Che schließlich nach Kuba folgen. Doch Che beschied ihm: „Schau Dich um, Juan. All die Banken, Versicherungen, die teuren Hotels, die mächtigen Firmen. Hier bist Du im Gehirn des Ungeheuers! Was willst Du mehr? Dein Schlachtfeld ist hier.“ Jean Ziegler blieb in der Schweiz, studierte fortan Soziologie und verwendete anstelle des Deutschen die französische Sprache. 

Von 1967 bis 1983 und von 1987 bis 1999 war Jean Ziegler Genfer Abgeordneter im Nationalrat für die Sozialdemokratische Partei (SP) der Schweiz; ab 1977 wurde er Professor der Soziologie an der Uni in Genf, was er bis zu seiner Emeritierung im Mai 2002 bleiben sollte. Zudem war er ständiger Gastprofessor an der Sorbonne in Paris. Seit September 2000 ist Jean Ziegler UN-Sonderberichterstatter für „Das Recht auf Nahrung“. In dieser Funktion verfasste er, unter anderem, jährlichen allgemeinen Berichten und Empfehlungen für die Vereinten Nationen.

Jean Ziegler nahm Che beim Wort und nahm den Kampf gegen „das Ungeheuer“ auf. Seine Waffe war immer (ausschließlich) das Wort und so schrieb er bis heute schließlich 16 Bücher. Das fünfte Buch, 1976, machte ihn erstmals auch international bekannt. Der Titel „Die Schweiz, über jeden Verdacht erhaben“, wurde ein Bestseller in Millionenauflage. Darin wagte Ziegler auszusprechen, was in der Schweiz noch keiner zuvor gewagt hatte: …dass auch die Schweiz Dreck am Stecken habe. Leichen im Keller. Ziegler schreibt: „Die vielen hundert Millionen Dollar, die alljährlich aus den Ländern der Dritten Welt abfließen und die, in Schweizer Franken umgetauscht, in den Ali-Baba-Höhlen unter der Zürcher Bahnhofstraße lagern, sind das Blut der Armen und der Opfer von Kriminellen.“

Das „Ungeheuer“ schlug zurück! Wegen seiner massiven Kritik an schweizerischen Banken, wurde er als „Landesverräter“ angegriffen und von mehreren Instituten, zum Teil erfolgreich, verklagt. Die Verurteilungen zu Schadensersatz brachten ihn wirtschaftlich an den Rand des Ruins. Der Prozess wegen Landesverrats endete allerdings mit einem  Freispruch. Dennoch ist seine Kritik – leider – auch heute noch aktuell.

Jean Ziegler gilt heute als scharfzüngiger Globalisierungskritiker und gehört deshalb zur Standartlektüre von z.B. Attac-Aktivisten. Reich an eigenen Erfahrungen – und an Schulden aus unzähligen Verleumdungsklagen – prangert er unermüdlich vor allem das Geschäftsgebaren transnationaler Konzerne an; hält sich mit Kritik aber auch nicht vor politischen Institutionen, politischen Akteuren und dem kapitalistischen System an sich zurück. Besonderes Augenmerk legt er folgerichtig auch auf die eigentlichen Machtapparate im Hintergrund der globalisierten Welt; namentlich Weltbank, IWF und WTO.

Das hier vorliegende Buch ist ein weiteres Beispiel für den Furor, mit dem Ziegler seine Positionen vertritt. Ziegler formuliert so, dass mein seine Positionen gut finden kann oder eben nicht, die man teilen kann oder verdammen kann, für die man eintreten kann oder die man abwehren muss – aber (scheinbar) eben nichts dazwischen. Und so sind nach dem Erscheinen dieses Buches (wie bei jedem seiner Bücher), die üblichen Reflexe zu erwartbar gewesen: Die Bürgerlichen diffamieren den Inhalt des Buches mit Attributen wie „inhaltsleere Pauschalkritik“ und versuchen mit Formulierungen wie: der Autor habe „die Naivität des verbohrten Dritte-Welt-Apostels“, die Expertise des Autor zu negieren.

Aber natürlich ist Ziegler damit nicht zu packen, denn längst ist offenbar, was sie Verteidiger des Freien Marktes noch zu verschleiern suchen. Wenn Ziegler den Neoliberalismus in scharf geschnittenen Schwarzweiß-Bildern zeichnet dann nicht, weil er es nicht vermögen würde auch die Graustufen zu formulieren, sondern weil es sich eben nicht anders formulieren lässt. Wenn Ziegler die Deregulierung von Schutzrechten für Arbeitnehmer*innen als Machtmittel der neuen Herrscher beschreibt, dann tut er das nicht aus Bosheit, sondern weil Deregulierung weltweit genau so eingesetzt wird. Und wenn Ziegler die Privatisierung von öffentlichem Besitz scharf kritisiert, denn deshalb, weil sie einem Raubzug gleichkommt und sie immens viele Opfer kostet, wenn Gesundheitswesen, Bildung, Altersvorsorge, Wasser, Daseinsfürsorge insgesamt – neuerdings sogar die Luft – zur Handelsware gemacht wird. 

Wenn dann diese Kritiker, die sich gebärden wie die Hofschranzen der Finanz-Hochadels, dann noch etwas abmildern wollen, dann „geben sie zu“, dass Zieglers Kritik an den unverschämt „hohen Abfindungen für Manager“ nachvollziehbar sei, da es eigentlich nicht einsehbar sei, dass oft schlechte Leistung und offensichtliche Fehlentscheidungen obendrein auch noch belohnt werden. Dass allerding jene Manager nicht weiter als die Operative Instanz der Kapitaleigner sind und nicht unkontrolliert und gegen den Willen der Eigentümer handeln können, das wird tunlichst verschwiegen. Darüber hinaus verhindern dieselben Eigentümer und ihre Lobbyisten seit Jahren eine strengere Managerhaftung für Fälle, in denen Manager unabgestimmte Entscheidungen getroffen haben.

Neulich las ich über dieses Buch eine Kritik, die wirklich stimmt. Da stand zu lesen: Neues suche man in diesem Buch vergebens. In der Tat, alles was Ziegler in diesem im Jahre 2002 erstmal erschienen Buch schreibt ist nicht neu. Es ist nun einmal die Realität, dass in der sogenannten „globalisierten Welt“ der Wohlstand nicht global verteilt ist. Er ist noch nicht einmal dort anzutreffen wo er erzeugt wird: in den Ländern des Südens und des Ostens. Diese sog. Globalisierung schreibt im Wesentlichen lediglich die alte koloniale Wohlstands-Verteilung fort und die lässt den Norden und Westen im Reichtum schwimmen, während im Rest der Welt Völkerelend herrscht.

Wer sind ist das nun „Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher“? Es ist im Einzelnen die eindrucksvolle Leistung Zieglers, dass er uns eindrucksvoll vor Augen führt, wie der Welthandel im Lauf der letzten zwanzig Jahren unermesslichen Reichtum erwirtschaftete und Ziegler spart nicht mit Beispielen, Vergleichen und Bildern (die man nicht in jedem Fall zitieren sollte, da sie heutzutage nicht mehr aktuell sind). Möglich sei dies, weil internationale Institutionen die Rahmen dafür setzten und Ziegler spricht deutlich von den Drahtziehern bei der Weltbank oder bezeichnet die Verantwortlichen des IWF sogar als Feuerteufel, während er die WTO als die „militärische Einheit“ des internationalen Großkapitals sieht.

Neben einer ausführlichen Darstellung der neuen Herrscher der Welt ruft Ziegler auch in Erinnerung, dass es den Widerstand gibt. Dabei spielen nicht nur die von der kapitalistischen Presse (Privatsender, Zeitschriften…) in abschreckenden Bilden dargestellten Aktionen von Attac oder die Aktionen von Gegnern der Davos- und G-7-Treffen eine Rolle, sondern auch Organisationen in den Ländern des Südens (die hierzulande kaum jemand kennt) wie z.B. die „Bewegung der Landlosen“ in Brasilien, die Ziegler aus vielen Gesprächen und Besuchen vor Ort kennt. Der Widerstand kann allerdings nicht nur von den Schwachen ausgehen. Eine alte Phrase fragt: Wedelt der Hund mit dem Schwanz, oder der Schwanz mit dem Hund? Die Beantwortung der Frage ist einfach. Und genauso einfach ist die Einsicht zu gewinnen, dass es nicht den Opfern von Kolonialismus, imperialistischer Gewalt und Ausbeutung über lassen bleiben kann der Unmenschlichkeit des System etwas entgegenzusetzen, sondern selbstverständlich wird es auf die Zivilgesellschaften des Westens ankommen, das historische Kapitel der Herrschaft des Westens über den Rest der Welt zu beenden und anstelle der Hass erzeugenden Konfrontation, die Kooperation aller Menschheitsteile zu setzten. Genau das sieht Ziegler heraufscheinen und er ruft zum verstärkten Engagement auf, diesen Widerstand wirkungsmächtig zu machen.

Ich finde ja, dass Jean Zieglers Ausführungen immer schon nachvollziehbar begründet waren und er auch immer ausreichende Quellenangaben machte, so dass man als Leser*in auch einen Faktencheck machen konnte.  In diesem Werk wird das von vielen extra hervorgehoben. Offensichtlich konnte man nicht mehr abstreiten was doch so offensichtlich ist. Auch ein ausführliches Personen- und Sachregister ist im Anhang zu finden, so dass die geneigten Leser*innen sich beim Auffinden von Namen im Text behelfen können. Jean Ziegler ist in seiner Haltung als globalisierungskritischer Anwalt der Völker des Südens bekannt und so wird man bei den Inhalten dieses Buches auch nicht anderes erwarten können. Er sagt eben:  „Nie mehr – nicht einmal rein zufällig, möchte ich auf der Seite der Henker stehen.“