Juan Gabriel Vasquez – „Das Geräusch der Dinge beim fallen“

Juan Gabriel Vasquez – Das Geräusch der Dinge

beim Fallen

Taschenbuch: 304 Seiten

Verlag: FISCHER – Aus Januar 2017

ISBN-10: 9783596036141

ISBN-13: 978-3596036141

Liebe, in der Zeit der Violencia…

Liebe und Glück. Bücher über das Thema füllen ganze Bibliotheken, die Schlager- und Pop-Industrie lebt sehr gut davon, viele intime Gespräche unter Freunden drehen sich darum und in vielen Predigten ist davon die Rede. Gerade der ständige Gebrauch dieses Wortes in religiösen Zusammenhängen und die Versuche dieses Gefühl romantisch zu überhöhen, ließen diese Emotion gar umgangssprachlich zu einem „göttlichen Gefühl“ werden. Unzweifelhaft ist es ein Genuss dieses Gefühl zu empfinden, ja es zählt zweifellos auch zu den höchsten Genüssen… weswegen die Umschreibung göttlich sicher angebracht ist.

Aber es sollte auch ins Auge gefasst werden, dass es nicht nur auf die Einstellung, und sei sie noch so positiv, einzelner Personen ankommt, sondern es auch von gesellschaftlichen Verhältnissen, den günstigen materiellen Gegebenheiten und in einem politischen Klima eines Landes abhängt, Glück Wirklichkeit werden zu lassen. Und so kann auch eine Liebesgeschichte zu einem politischen Roman werden, der – am Schicksal eines Menschen festgemacht – einem Röntgenbild der Gesellschaft gleicht. Der Radiologe in diesem Fall ist ein junger kolumbianischer Autor, namens Juan Gabriel Vásquez.

Juan Gabriel Vásquez (Jahrgang 1973) ist ein kolumbianischer Autor, Essayist und Übersetzer (z.B. von Werken des Franzosen Victor Hugo). Er studierte lateinamerikanische Literatur an der Sorbonne. Nach 16 Jahren in Europa lebt Juan Gabriel Vásquez seit 2012 mit seiner Familie wieder in Bogotá. Vasquez schreibt Kolumnen in eben jener Zeitschrift, für die seinerzeit schon Gabriel Garcia Marquez schrieb: El Espectador… allerdings stand er der Literatur seines großen Landmann kritisch gegenüber; er respektierte die Leistung, aber lehnte den „Macondismus“ (nach dem Dorf Macondo in „Hundert Jahre Einsamkeit“) und den „Magischen Realismus“, für den Marquez als Literaturnobelpreisträger stand wie kein anderer, für sich ab.

Zum Buch: Der Roman „Das Geräusch der Dinge beim Fallen“ ist zuerst unter dem Titel El ruido de las cosas al caer“ im Jahre 2011 in Madrid erschienen und im Jahr 2015 dann unter vorliegendem Titel in deutscher Sprache. Wie schon aus meinen Bemerkungen hervor geht, erwartet uns ein Stück Literatur aus Kolumbien, die mit den berühmten Vorgängern Marquez und Mutis (beide von mir hier vorgestellt) stilistisch nichts gemein hat. Im vorliegenden Roman geht es – ganz im Sinne meines Vorworts – um ein eine Liebesgeschichte, eigentlich um eine doppelte Liebesgeschichte; eine vergangene und aktuelle, eine glückliche und eine unglückliche und eine doppelte Liebesgeschichte aus zwei verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, die sich zufällig in der Begegnung zweier Männer überschneiden.

Der Erzähler der Geschichte ist der Juraprofessor Antonio Yammara, der an der Universität von Bogota/Kolumbien arbeitet. Er erzählt von einem Erlebnis kurz vor seinem vierzigsten Geburtstag, lebt und sich seinem vierzigsten Geburtstag nähert, erzählt von den kritischen Ereignissen, die sein Leben dramatisch verändern sollten; Ereignisse, die reichlich 20 Jahre zurückliegen und ihren Anfang mit der Begegnung eines älteren Mannes, namens Ricardo Laverde, in einer Billardbar nahmen.

Wie es manchmal so läuft: Beim Spielen und mit Alkohol im Blut kommt man sich näher und die Zunge sitzt locker. Antonio erfährt, dass Ricardo schon mal im Knast war, aber als Grund gab er lediglich zur Auskunft, dass er eben „Mist gebaut“ habe. Ricardo erwartet seine Frau; er hat sich extra für sie ein Bild von sich machen lassen. Doch das Flugzeug, das sie bringen sollte, stürzt ab… just an dem Tag damals, als Antonio seine Frau kennengelernt und später Vater geworden war. Beim Versucht gemeinsam die Hintergründe des Absturzes herauszufinden, werden beide Opfer eines Attentats, Ricardo stirbt, Antonio ist schwer verletzt. Offensichtlich war man in eine für kolumbianische Verhältnisse leider alltägliche Geschichte des damaligen Drogenbosses Escobar hineingeraten…

Schlussbemerkungen: Ja, das ist nicht Magischer Realismus á la Marquez… es ist großartige Literatur á la Juan Gabriel Vasquez. Und während Gabriel Garcia Marquez als Journalist sehr offen über die Zeit der sog. Violencia (der Zeit der allgegenwärtigen Gewalt) journalistisch schrieb und in seinem Romanen eher verklausuliert blieb, hat Juan Gabriel Vasquez einen knallharten aber unglaublich guten Roman über diese Zeit vorgelegt, der das Zeug zum Klassiker hat und den ich – man möge mir verzeihen, wenn ich als großer Marquez-Fan Anleihe an einem Marquez-Titel mache – Liebe in den Zeiten der Violencia nennen möchte.

Juan Gabriel Vasquez macht Schluss mit verklausuliert geäußerter Gesellschaftskritik; ohne ein durch und durch unlesbares Pamphlet zu sein. Es ist ein wunderbarer, mitreißender und sensibel erzählter Roman, der mir – als Liebhaber der Lateinamerikanischen Literatur – seinen Verfasser sehr ans Herz legt. Er trifft bei mir auf ungeteilte Zustimmung in meiner Auffassung, dass Vergangenheit nie ganz vergangen ist, so wie die Zeit der Violencia heute immer noch nicht vorüber ist, weil sie mit den angerichteten Schäden auch die Zukunft weiterhin belasten wird. Ein großartiger Roman von einem Schriftsteller, von dem man noch viel erwarten darf. Sehr empfehlenswert.