Antonio Lobo Antunes – Kommission der Tränen
384 Seiten – Gebundene Ausgabe
Verlag: Luchterhand Literaturverlag – Aus (Okt. 2014
ISBN-10: 3630874231
ISBN-13: 978-3630874234
Lobo Antunes gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart… und mittlerweile liegen über 20 Romane vor, die in alle wichtigen Sprachen übersetzt wurden. Dabei handelte es sich um psychologisch fundierte Studien, die von tragischen Biographien, von Tod und Krankheit, Trennungen und unerfülltem Leben erzählen. In einer Welt, in welcher das Tun der halbseidenen Prominenz, glorifizierter Stars oder verkrachter Existenzen die Berichterstattung beherrschen, richtet er seinen erzählerischen Blick – und lenkt somit den Blick der Lesenden – auf das Schicksal ganz alltäglicher Menschen oder auch kleiner Randexistenzen.
In seinen besten Romanen thematisiert er die gesellschaftlichen Verhältnisse Portugals während der Diktatur und vor allem die unselige Rolle Portugals in Afrika; was ihm bis heute in Portugal verübelt wird. Auch setzt er sich intensiv und kritisch mit der gegenwärtigen portugiesischen Gesellschaft auseinander und vermeidet weder „heilige“ Themen wie Familie, noch das glorifizierte Geschichtsbild der Portugiesen; er ist deshalb daheim unbeliebt und gilt als Nestbeschmutzer.
Dass seine Romane hierzulande keine Bestseller werden, mag am sprachlichen Stil Lobo Antunes´ liegen, der mit unglaublicher Dichte, erzählerischen Energie und immer einer Flut von Metaphern seine Geschichten erzählt. Das Werk des Autors gilt als Weltliteratur und mehrfach wurde er schon mit dem Literatur-Nobelpreis in Verbindung gebracht. ALA zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur und wahre Literaturbegeisterte kommen nicht umhin, diesem Schriftsteller einen prominenten Platz in ihrer Bibliothek einzuräumen.
Im Roman „Kommission der Tränen“ arbeitet sich ALA einmal mehr an SEINEM Thema, der angolanischen Geschichte, an der er als Militärarzt während des Unabhängigkeits-Kriegs Anteil hatte, ab. Dieser Roman ist allerdings kein Verharren in der Vergangenheit, sondern handelt in der Zeit nach dem Sieg der MPLA über die Portugiesen. Das Land kam natürlich nicht zur Ruhe – zu viel Gewalt wurde angewendet und sie wucherte sich durch die Gesellschaft.
Es gab sie wirklich, die Kommission der Tränen… in den späten 1970er Jahren. Innerhalb der MPLA kam zu Machkämpfen und man griff – gut stalinistisch – zum Mittel der sogenannten „Säuberungen“, worunter nichts anderes als grausamste Folterungen, Schnellgerichte und Hinrichtungen zu verstehen ist. Der Vater Cristinas, der Protagonistin des Romans, war Mitglied jener „Kommission“ und floh später mit seiner Familie – Cristina war fünf Jahre alt – nach Portugal.
Die Romane des Autors sind, ob des komplexen Erzählstils eh schwer zu lesen… in diesem Werk kommt hinzu, dass im gesamten Roman die fruchtbare Gewalt durchscheint, die mit Willkür, unmenschlicher Grausamkeit und (das Schlimmste) scheinbarer Legitimität der Herrschenden, jede zivile Ordnung unmöglich macht und sich in jede Faser der Lebenserfahrung jener Menschen einnistet, die unter einem solchen Regime leben (müssen). Das vererbt sich… nur so ist es zu erklären, dass Salazar – der portugiesische Diktator, der für den Befreiungskrieg verantwortlich war und in Portugal ein ähnliches Regime hielt – im Jahre 2007 noch, von den Portugiesen zum „bedeutendsten Portugiesen aller Zeiten“ gewählt wurde.
Zu dieser Zeit lebt Cristina in der Altstadt von Lissabon. In unregelmäßigen Abständen muss sie in eine psychiatrische Klinik, denn sie hört Stimmen, die ihr keine Ruhe lassen. Hauptsächlich die Erinnerungen der frühen Kindheit, in denen die Grenzen zwischen Realität und Phantasie verschwimmen, quälen sie. In ihren Träumen und Halluzinationen, zeichnet ALA die Wahrheiten und Gegenwahrheiten ein Bild Angolas und Portugals, das stimmiger sein wird, als das der Bürgerlichen Geschichtsschreibung, die geprägt ist Relativierung von Schuld, von Rassismus und Verharmlosung der Grausamkeit. Natürlich ist und bleibt das Werk ein Roman und kein Geschichtsbuch und ALA´s Erzähltechnik, den man schon fast als „lyrischen Stil“ bezeichnen kann, scheint so recht geeignet, die vielen Schichten der Zeit freizulegen.
Meine Faszination für die Romane Antonio Lobo Antunes´ ist seit Jahren ungebrochen und weil ich das nicht besser zum Ausdruck bringen kann, zitiere ich Verena Auffermann (Süddeutsche Zeitung): „Dass Antonio Lobo Antunes ein Meister ist, der wenig Konkurrenz zu fürchten hat, beweisen die Hymnen, die seit einigen Jahren seine Bücher begleiten. Seine Romane sind Verführungen, Besitz, ergreifende Totalvereinnahmungen… Vielleicht kann niemand so melodisch die schäbigen und zeitlosen Gefühle der Menschen beschreiben wie er. Das ist das Zeichen großer verfallsdatumsfreier Literatur.“