„Le Sacre du Printemps“

Alejo Carpentier – Le Sacre du Printemps

682 Seiten – Sondereinband

Verlag: Suhrkamp Verlag – Aus März 1993

ISBN-10: 3518405276

ISBN-13: 978-3518405277

Ein Roman – nicht nur für den Frühling

Vielleicht liegt es an seiner grundsätzlichen Einstellung zur Literatur, dass sich sein Rang in der spanisch-amerikanischen Literatur nicht so deutlich bestimmen lässt, wie man es z.B. bei Marquez kann. Aber er vertrat nun mal die Ansicht (Zitat): „Das Leben ist nichts, was zählt ist das Werk“. So wurden seine Romane mit zahllosen Preisen überschüttet und die Kritik lobte ihn über den grünen Klee, auch waren seine Bücher in der spanisch sprechenden Welt große Erfolge, aber seine Persönlichkeit und sein künstlerischer Weg fanden nicht die verdiente Resonanz.

Alejo Carpentier war Romancier, Musikwissenschaftler und Poet zugleich und zeichnete sich durch einen ebenso sensiblen wie scharfen Blick auf die Welt aus. Er war von Geburt (*1904 in Havanna) Kubaner, doch seiner Erziehung nach war er vor allem Europäer (Gymnasium in Paris) und seiner Haltung nach war er zutiefst lateinamerikanisch – er zählt wohl zu den kultiviertesten Schriftstellern (mindestens) des zwanzigsten Jahrhunderts; wenn nicht gar überhaupt.

Sein Weg begann sozusagen mit einer Panne – ein abgebrochenes Architektur-Studium in Havanna. Dann wendete er sich (wie viele andere lateinamerikanische Schriftsteller auch) dem Journalismus zu… aber auch der Musik. Er wurde schnell Chefredakteur und Mitherausgeber einer Zeitschrift… aber er organisierte auch Konzerte für Neue Musik. Kein Wunder, dass er – so in der Öffentlichkeit stehend – den Mächtigen auffiel; besonders unangenehm natürlich, als er gegen die Diktatur öffentlich protestierte. Sie sperrten ihn sechs Monate ins Gefängnis deswegen und ging anschließend ins Exil nach Paris und arbeitete dort zunächst als Musikkritiker aber auch als Komponist und Librettist.

Nach vierzehn Jahren in Caracas/Venezuela, in denen er Studien und Forschungen über die karibische und lateinamerikanische Kultur trieb, kehrte er nach dem Sieg der Castro-Revolution dann endgültig nach Kuba zurück und wurde Professor für Literatur in Havanna… mittlerweile schon auch ein geachteter Romancier; sein erster großer Roman war 1933 erschienen. Carpentier hat in seinem Werk ein überlebensgroßes, facettenreiches, farbenfrohes, aber auch kritisches und hintergründiges Bild der Geschichte und Gegenwart des karibischen Raumes gezeichnet und an der Entwicklung des modernen lateinamerikanischen Romans einen bedeutenden Anteil gehabt.

Le Sacre du Printemps nun, ist ein unglaublich reicher und poetischer Roman, der in weiten Passagen autobiographische Züge aufweist. Es ist außerdem der wohl am eindeutigsten sozial und politisch engagiertesten Romane seines gesamten Schaffens. Alejo Carpentier erzählt hier quasi sein Zwanzigstes Jahrhundert, das in der nach wie vor noch vorhandenen Gegenwärtigkeit vieler im Roman erzählter Geschehnisse, auch immer irgendwie unser eigenes Jahrhundert ist. Alejo Carpentier durchmisst mit uns alle Welten seiner kulturellen Prägung, seines politischen Engagements, seiner künstlerischen Ambitionen – und seiner sinnlichen Wahrnehmung.

Die russische Tänzerin und der kubanische Architekt lernen sich im Spanien kennen, wo sie auf der Seite der Republikaner gegen den Faschisten Franko kämpften; beide waren Mitglieder der Internationalen Brigaden, die dem demokratischen Spanien zur Hilfe eilten. Beide sind jung… haben aber auch schon ein bewegtes Leben hinter sich. Im Roman erzählen sie sich gegenseitig (jeweils in der Ich-Form) ihre Geschichte. Vera (die junge Tänzerin) erzählt von der Zeit vor, während und nach der Oktober-Revolution in Russland und Enrique (der junge Architekt) berichtet über das dekadente, genusssüchtige, luxuriöse Leben der Oberschicht im Havanna der Machado-Diktatur.

Beide haben sie an der Entwicklung der künstlerischen Moderne teilgenommen – im Erleben der Kunst in verschiedenen europäischen Städten, wie auch in der Mitgestaltung bei intellektuellen oder politischen Zirkeln… sie waren sozusagen erfüllt von ihrem Engagement und von der Kunst. Als der Kampf gegen Franko für die Demokraten im Bombenhagel von Guernica verloren gegangen war, gingen beide ins kubanische Exil… Doch dort sollten sie sich vor die schwerste Prüfung ihrer Existenz gestellt sehen – aber sie finden auch dort das, was der Titel des Romans verspricht: Den Aufbruch in eine bessere Zeit, wie es das Musikstück Strawinskys (das dem Roman den Namen gab) andeutet.

Mich hat der Roman fasziniert wie ein überwältigendes Landschafts-Panorama im Abendlicht. Ich fühlte mich Kapitel um Kapitel reich beschenkt… ich fühlte mich mitgenommen auf eine Reise durch Carpentiers Welten. Er erzählt in einer Vitalität und einer Fülle einen Stoff, der anderen für mehr als einen Roman hinlänglich gereicht hätte. Auch von seinen Hauptpersonen war ich mehr als angetan… sie durchmessen die ganze Scala menschlicher/zwischenmenschlicher Erfahrungen, sind Freunde und Geliebte, freuen sich, scheitern, fangen sich gegenseitig auf und triumphieren letztlich. Erstmals, dass ich mich über ein Happy-End nicht ärgern musste, sondern das den Beiden von Herzen gönnte… als seinen sie während des Lesens plastisch und real aus den Zeilen hervorgetreten und zu lieben Freunden geworden.

Wilfried John