Rom Band 1

Emile Zola – Rom Band 1 

252 Seiten – Gebundene Ausgabe

Verlag: TREDITION CLASSICS – Aus Okt. 2013

ISBN-10: 3847274139

ISBN-13: 978-3847274131

Die Ausbeutung der Hilfesuchenden

Eine Bibliothek ohne die Klassiker, auch wenn sie nicht den bevorzugten Lesestoff enthalten mögen, ist keine richtige Bibliothek. Wenigstens eine Ecke sollte für die Klassiker der Weltliteratur reserviert sein. Jetzt könnte man natürlich trefflich darüber streiten, welche Autoren und/oder Werke zu dieser Klassischen Literatur gezählt werden müssen. Kein Streit kann es aber um diesen Autor und dessen Werk geben… dieser Autor gehört unbedingt auf die Liste: Émile Zola.

Émile Zola, 1840 in Paris geboren, arbeitete als freier Journalist und Autor. 1898 setzte er sich mit seinem „J’accuse“ (deutsch „Ich klage an…) für den zu Unrecht verurteilten Dreyfus ein und wurde zu Gefängnis sowie einer Geldstrafe verurteilt, konnte jedoch nach England entfliehen. 1899 kehrte er nach einer Amnestie zurück. Zola gilt als der Hauptvertreter des europäischen Naturalismus. Zola war aber nicht nur ein schon zu Lebzeiten sehr erfolgreicher Schriftsteller, sondern er war auch ein sehr aktiver – und deshalb auch bekannter – Journalist, der aus einer politisch gemäßigt linken Position schrieb. Zola starb am 1902 in Paris. 

Zola machte sich die geniale Idee von Honoré de Balzac (auch von mir hier vorgestellt) zu eigen und konzipierte die meisten seiner Romane als Teile eines Zyklus. So entstanden seine berühmtesten Romane sozusagen als Fortsetzungs-Geschichten (die aber auch als eigenständige Werke gelten). In Frankreich gilt Zola als einer der Großen der nationalen Literatur. Sein Werk, hauptsächlich seine Romane, sind sehr populär und werden auch heute noch gerne gelesen. Mehrere seiner Romane wurden bald nach ihrem Erscheinen auf die Bühne gebracht und erfolgreich aufgeführt. In späteren Zeiten wurden Zola-Romane ebenso erfolgreich verfilmt.

Das hier zu besprechende Werk ist der erste Teil des dreiteiligen Romanzyklus „Trois Villes“ (Drei Städte – gemeint sind Lourdes, Rom und Paris). Der Zyklus entstand in den Jahren 1894 bis 1898. Den Auftakt der Reihe bildet „Lourdes“ (Erscheinungsjahr 1894 – hier in der Kindle-Ausgabe der Band 1), gefolgt mit „Rom“ (zwei Jahre erschienen – hier der Band 2) und weitere zwei Jahre darauf erschien (der dritte Band) „Paris“. Das zu erwähnen erscheint mir deswegen wichtig, weil Zola in den Romanen eine Haltung einnimmt, die sich nur aus der Zeit erklären lässt; wie alle Werke der Kunst immer auch aus der Zeit ihres Entstehens heraus erklärt werden müssen.

Zolas Protagonist in allen drei Bänden ist ein junger idealistischer katholischer Priester, der im Laufe der Handlung dieser Roman-Reihe erkennen muss, dass alle seine auf die Katholische Kirche bezogenen Ideale nichts als Illusionen gewesen sind. Ausgelöst wurde die innere Katastrophe des jungen Abbé Pierre, durch seine Zweifel am allgegenwärtigen Widerspruch seines Glaubens und der Realität. Eine Pilgerfahrt nach Lourdes, die einer Freundin Heilung bringen sollte (gelähmt durch einen Reitunfall), begleitete er mit dem Wunsch, dass auch er in seiner Glaubensfestigkeit „geheilt“ werde.  

Aber das Gegenteil geschah: Während der fünftägigen Pilgerfahrt wurde dem jungen Priester die systematische Ausbeutung der Pilger durch „seine“ Kirche gewahr. Alle in Lourdes, ob Geschäfte oder Hotels, beuteten die äußere und innere Not der Pilger aus. Aber während er das von den Händlern und Gastwirten nicht anders vermutet hatte, musste er bemerken, dass auch der Klerus Geschäfte mit dem Bedürfnis nach Trost und Heilung macht. Marie wird zwar geheilt, aber was flugs als Wunder aufgebauscht wird, ist nach Pierres Ansicht wissenschaftlich erklärbar; Maries Lähmung war, seiner Meinung nach, Folge des Traumas, also psychischen Ursprungs. Pierre kehrt mit der Überzeugung aus Lourdes zurück, dass man eine neue Religion schaffen müsse, welche die Hoffnungen der Menschen von heute erfülle, nicht ausnutze.

Auch 120 Jahre später liest sich dieser Roman nicht wie ein weltfremdes, aus der Zeit gefallenes Stück Literatur. Möglicherweise liegt das an der Aktualität des Themas: Ungeheuerliche Skandale erschüttern eine offensichtlich reformunfähige Katholische Kirche, die sich mit Vorliebe um sich selbst kümmert, anstatt ihrem Anspruch – für die Menschen da sein zu wollen – auch nur entfernt gerecht zu werden. Gewiss, aus heutiger Sicht kann man Zola vielleicht ein naives Sendungsbewusstsein vorwerfen, das ihn eine gesellschaftliche Perspektive „predigen“ lässt, die sich als unhaltbar herausstellte. 

Aber – ich verwies auf die Entstehungszeit der Romane – die meisten Utopisten jener Zeit (zumal im Lande Jules Vernes – Frankreich), waren erfüllt von den Vorstellungen, wofür man all die naturwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften der Zeit zur Anwendung bringen könnte. Auch die Sozialutopien des neunzehnten Jahrhunderts werteten die Technik in beispielloser Weise auf – sie sollten zum eigentlichen Fundament einer neuen Gesellschaft werden. Nun, dass es vielleicht etwas anders kam als die Sozialutopisten es sich vorgestellt haben, ändert nichts daran, dass Zolas Werk auch nach über 120 Jahren thematisch noch in weiten Teilen aktuell ist – das ist Weltliteratur und gehört allein deswegen schon, jede gut sortierte Bibliothek. Ich hoffe, meine Bemerkungen waren hilfreich…

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