Welche Pferde sind das, die da werfen ihren Schatten aufs Meer

Antonio Lobo Antunes – 

Welche Pferde sind das, die da werfen ihren Schatten aufs Meer

448 Seiten – Gebundene Ausgabe

Verlag: Luchterhand Literaturverlag – Aus Okt. 2013

ISBN-10: 9783630873459

ISBN-13: 978-3630873459

Lobo Antunes gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart… und mittlerweile liegen über 20 Romane vor, die in alle wichtigen Sprachen übersetzt wurden. Dabei handelte es sich um psychologisch fundierte Studien, die von tragischen Biographien, von Tod und Krankheit, Trennungen und unerfülltem Leben erzählen. In einer Welt, in welcher das Tun der halbseidenen Prominenz, glorifizierter Stars oder verkrachter Existenzen die Berichterstattung beherrschen, richtet er seinen erzählerischen Blick – und lenkt somit den Blick der Lesenden – auf das Schicksal ganz alltäglicher Menschen oder auch kleiner Randexistenzen.

In seinen besten Romanen thematisiert er die gesellschaftlichen Verhältnisse Portugals während der Diktatur und vor allem die unselige Rolle Portugals in Afrika; was ihm bis heute in Portugal verübelt wird. Auch setzt er sich intensiv und kritisch mit der gegenwärtigen portugiesischen Gesellschaft auseinander und vermeidet weder „heilige“ Themen wie Familie, noch das glorifizierte Geschichtsbild der Portugiesen; er ist deshalb daheim unbeliebt und gilt als Nestbeschmutzer. 

Dass seine Romane hierzulande keine Bestseller werden, mag am sprachlichen Stil Lobo Antunes´ liegen, der mit unglaublicher Dichte, erzählerischen Energie und immer einer Flut von Metaphern seine Geschichten erzählt. Das Werk des Autors gilt als Weltliteratur und mehrfach wurde er schon mit dem Literatur-Nobelpreis in Verbindung gebracht. ALA zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur und wahre Literaturbegeisterte kommen nicht umhin, diesem Schriftsteller einen prominenten Platz in ihrer Bibliothek einzuräumen.  

In seinem Roman „Welche Pferde sind das, die da werfen ihre Schatten aufs Meer?“ (welch ein Buchtitel..!) beschreibt ALA einmal mehr die von der jüngeren Vergangenheit geprägte Gesellschaft des nachrevolutionären Portugal und die Zerrüttungen, die die weit in die Gegenwart hinein wirken. Insofern ist das nicht nur für Portugiesen interessant, sondern gerade die jüngsten fremdenfeindlichen Ereignisse in Deutschland zeigen, dass auch hierzulande zum Verständnis des Jetzt, die Kenntnis der Vergangenheit wichtig ist. 

In diesem Werk nutzt ALA erneut das Erzählmuster einer Familiengeschichte um uns seine Sicht der Dinge nahe zu bringen. Es geht sozusagen um den Schlussakkord des Niedergangs einer Stierzüchter-Dynastie, die es eigentlich gar nicht mehr gibt. Der Patriarch hat mit seiner Spielsucht das Gut längst ruiniert und ist längst schon tot. Nun liegt seine Frau, die Dona Maria, im Sterben und ihre erwachsenen Kinder versammeln sich am Sterbebett. Doch offenbar ist die alte Dienerin einzig in der Lage Mitleid zu empfinden – denn aus den Äußerungen der schwangeren Tochter Beatriz, des schwulen Joao, der drogensüchtigen Ana oder gar des Egozentrikers Francisco geht Gleiches nicht hervor.

ALA komponiert mit den Erinnerungen, Gedanken, Plänen aller Beteiligten einen vielstimmigen Kanon, zu dem auch Personen beitragen, die eigentlich zu schweigen hätten… Rita, die früh an Krebs gestorben ist und erst recht der tote Vater. Beim Lesen dieses, in unvergleichlicher Weise erzählten, Romans, muss man sich sehr konzentrieren, um den ständigen Wechsel der Perspektiven und Ansichten zu verarbeiten; das strengt an und macht hier und da ärgerlich. Dafür wird man quasi Zeuge eines fortwährenden Spiels mit der Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit, weil ALA erzählerisch immer wieder diese Grenzen zwischen gelebter Wirklichkeit, vermeintlicher Erinnerung und erlittenen Traumata überschreitet und ad absurdum führt.

ALA setzt sich seit Jahrzehnten den portugiesischen Klerikal-Faschisten auseinander und versäumt es nicht, sehr deutlich all das zu beschreiben, was diese bis heute an Gewalt, Willkür und Leid angerichtet und hinterlassen haben – das zu lesen, ist mitunter schwer zu ertragen. Aber das sollte uns eine Warnung sein, denn eine solche Realität ist noch viel schwerer zu ertragen. Ich gebe zu Protokoll, dass ich mehr als einmal versucht war, das Buch aus der Hand zu legen… doch jetzt, da ich es doch gelesen habe, kann ich sagen, dass es sich für mich doch gelohnt hat, weil die Bezüge zu unserem Jetzt so klar wurden. Schrecklich und doch auch faszinierend – Großartig.

Meine Faszination für die Romane Antonio Lobo Antunes´ ist seit Jahren ungebrochen und weil ich das nicht besser zum Ausdruck bringen kann, zitiere ich Verena Auffermann (Süddeutsche Zeitung): „Dass Antonio Lobo Antunes ein Meister ist, der wenig Konkurrenz zu fürchten hat, beweisen die Hymnen, die seit einigen Jahren seine Bücher begleiten. Seine Romane sind Verführungen, Besitz, ergreifende Totalvereinnahmungen… Vielleicht kann niemand so melodisch die schäbigen und zeitlosen Gefühle der Menschen beschreiben wie er. Das ist das Zeichen großer verfallsdatumsfreier Literatur.“