Der etwas andere Blick auf den Kapitalismus
Werner Plumpe – Das kalte Herz Kapitalismus: die Geschichte einer andauernden Revolution 800 Seiten – Gebundene Ausgabe Verlag: Rowohlt Berlin – Aus Februar 2019 ISBN-10: 387134754X ISBN-13: 978-3871347542 |
Nicht erst seit dem „Beinahe-Zusammenbruch“ des Bankensektors und der damit verbundenen Krise in der sog. Realwirtschaft, ist Kapitalismuskritik weit verbreitet. Häufig wird sie sogar von Leuten geübt, die früher den Kapitalismus eher verteidigten und natürlich von jenen, „die es schon immer gewusst haben“. Auch jenen, die „einfache Bilder“ brauchen, kam die Krise grade recht, da man nun – ohne allzu großen Widerspruch befürchten zu müssen – den Kapitalismus für alle Übel der Erde verantwortlich machen kann.
Das Schöne am Kapitalismus ist, dass fast alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe stimmen… es herrschen Gier, Profitmaximierung und Maßlosigkeit der Ressourcenverschwendung. Diese Art des Wirtschaftens erzeugt eben jene beklagenswerten Krisen, die ganze Volkswirtschaften ins Schwanken bringen, soziales Elend und sogar zu (Handels-)Kriegen führen (können). Allenthalben fällt dem Kapitalismus in der jüngeren Geschichte „die Rolle des Schurken“ zu, wie der Autor des hier besprochenen Buches formuliert. Und er hat die Qualifikation so zu formulieren: Werner Plumpe, Jahrgang 1954, ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Bis 2012 war er Vorsitzender des deutschen Historikerverbands und 2014 erhielt Werner Plumpe den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik.
Nun wird es aber etwas komplizierter: Der Autor stellt die – für die oben genannten Kritiker – unangenehme Frage, ob das schon alles ist, was man über den Kapitalismus sagen kann. Dann holt er weit aus und erzählt die Geschichte des Kapitalismus – aus einer etwas anderen als die übliche Perspektive: Er zeigt auch auf, dass die kapitalistische Marktwirtschaft nicht nur Probleme erzeugte und immer wieder erzeugt, sondern dass sie auch ein paar wichtige Lösungen mit sich brachte. Diese Ambivalenz ist es, die eine Auseinandersetzung mit dieser Art des Wirtschaftens so schwierig macht.
Als Beispiel lässt sich die Tatsache anführen, dass diese Art der Wirtschaft, bei welcher der Massenkonsum im Mittelpunkt steht, durch Ressourcenverschwendung den Planeten ausplündert. Aber gerade dadurch, dass Massenkonsum eher den wenig vermögenden Menschen, die jahrhundertelang ihrem Schicksal überlassen waren, zugutekam und ihre Lebenslage verbesserte und verbessert, darf nicht unterschlagen werden, denn womöglich ist ja genau das der Grund dafür, dass der Kapitalismus über eine solch lange Zeit sehr erfolgreich bestehen konnte.
Der Autor zeigt, wie die kapitalistische Art des Wirtschaftens immer wieder auf Kritik reagierte und sich gesellschaftlichen, ökologischen oder sozialen Erfordernissen anpasste. Der Kapitalismus sei „folgenreich wie wenige andere Ideen, und wir entkommen ihm nicht, nicht mal in der Verweigerung“. Ihm läge „weder ein böser Wesenskern zugrunde, noch ist er die Summe missliebiger Begleiterscheinungen unseres Gesellschaftssystems“, meint der Autor und zeigt den Kapitalismus als „immerwährende Revolution – als eine Bewegung ständiger Innovation und Neuerung, die so gut oder schlecht ist, wie wir sie gestalten.“
Auch wenn das Werk nicht grundsätzliche Systemkritik ist, lassen sich doch genügend Anhaltspunkte finden, die geeignet erscheinen, gerade hier einen Kritikansatz zu finden, welcher über die platte Kapitalismuskritik hinaus geht. Wenn es stimmt, dass Kapitalismus das ist, was wir aus ihm machen, dann können wir – nach der anregenden Lektüre dieses Werkes – Widerstand gegen seine systemischen „Alternativlosigkeiten“ formulieren und sie überwinden. Das Buch ist ein bereicherndes, provokatives und unbedingt lohnendes Buch – auch für all jene, die überlegen, wie man bei der Überwindung des Kapitalismus, das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet.
Wilfried John